Basma Jabr
„Jede von uns hat ihre eigene Geschichte, ihren Weg und ihren Traum, und mit Wiener Stimmen sind wir zusammen auf einer Bühne, vereint durch die Musik und vereint durch unsere starken Seelen, wie toll! All diese Vielfalt wird hier in einer intensiven Harmonie der Kulturen verbunden, in einem Ereignis, das einzigartig ist. Wie inspirierend!“
MUSIK JENSEITS VON KATEGORIEN
„Lumi“ heißt ein neues Lied von Basma Jabr. Lumi ist auch der Name eines Gewürzes. Basma Jabr holt ein Glas aus der Küche und zeigt die grauschwarzen Früchte. Es sind in Salzwasser gekochte Limetten, die getrocknet werden. Sie duften faszinierend. „Es ist süß und sauer zugleich“, sagt die Sängerin. Der Liedtitel drückt so auch die Widersprüchlichkeiten ihrer Gefühle aus.
Geschrieben hat Basma Jabr den Song im ersten Lockdown: „Einerseits war es schön, dass die Familie zu Hause war, weil wir viel spielen, musizieren und gemeinsam essen konnten. Andererseits gab es auch die Sorgen, was Corona bedeutet, was passieren wird“, so die Musikerin. Das Lied „Lumi“ wird sie am 4. Juni im Konzert der „Wiener Stimmen“ im Musikverein vorstellen – ein Projekt, das sie ungemein inspirierend findet: „Wir brauchen diesen Dialog zwischen uns und dem Musikverein und auch mit den anderen Institutionen. Weil Wien so ist, Wien ist vielfältig, und wir sollten mehr miteinander kommunizieren.“
Seit 2014 lebt sie in der Stadt. Geboren wurde sie in Kuwait. Doch als 1990 der Zweite Golfkrieg ausbrach, floh die Familie nach Syrien. „Meine Familie ist eine musikalische Familie, und unsere Wohnung war wie ein Experimentierfeld für Musik. Meine Mutter, mein Vater, meine Geschwister haben immer musiziert und gesungen“, erinnert sich Basma Jabr.
Es war vor allem arabische Musik, traditionelle, alte, oft auch nicht notierte, die zu Hause gepflegt wurde. Studiert hat sie dann Architektur in Damaskus, und den Beruf auch zwei Jahre ausgeübt. Doch die Musik war stärker. Eine professionelle Ausbildung als Sängerin hatte sie nicht, dafür mit viel Intuition ihre Erfahrungen gesammelt, denn „wenn man die Musik selbst verstehen möchte, darf man nicht in Kategorien denken“, sagt sie.
Seit kurzem studiert sie Gesang an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien am Institut für Popularmusik: „Ich hatte viele Auftritte in Österreich und ganz Europa, mit Bands, als Duo, mit Orchester, habe in Filmen und Theaterprojekten mitgespielt. Aber ich schaue immer in die Zukunft und bin immer neugierig, verschiedene Musikrichtungen kennenzulernen. Das Studium bietet mir dafür großartige Möglichkeiten.“
Dabei hatte sie schon früh eine erstaunliche Karriere, war ein Star vor allem für die Jungen: „2007 habe ich als professionelle Sängerin in Syrien begonnen. Davor hatte ich nur ein paar Auftritte, aber dann ging es richtig los mit Soundtracks für Filme und Serien, im ganzen arabischen Raum, nicht nur in Syrien. Ich habe auch in einer berühmten syrischen Band gesungen. Bis 2011 in Syrien der Krieg ausbrach und wir wieder alles verloren haben. Es war so ein Schock, dass ich dann bis 2016 aufgehört habe zu singen. Ich konnte in dieser Zeit auch keine Musik hören.“
2013 gelang es ihr, nach Istanbul und schließlich nach Wien zu kommen, wo sie heute mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt. Die Eltern wollen in Syrien bleiben: „Sie sagen immer, es geht ihnen gut. Doch was in Syrien ,gut‘ heißt, gilt hier schon als Katastrophe – aber sie leben noch …“ Die Musik hilft ihr, das alles zu verarbeiten. „Ich bemerke Ausdrücke in meinem Gesang, neue Sounds, manchmal sogar Schreie, die ich vorher nicht gekannt habe. Meine Musik ist somit Ergebnis und auch Ursache, die mir hilft zu bergreifen. Ich kann nicht ausblenden, was in meinem Kopf ist. Meine Musik ist eine Mischung aus dem, wo ich herkomme, was ich mache, was ich gehört habe und was ich gerade höre und fühle.“
2019 gab Basma Jabr mit dem syrischen Oud-Spieler Orwa Saleh das Album „The Songs We Still Remember“ heraus. „Wir haben am Anfang nur über den Text gesprochen und dann improvisiert, wir sind unseren Gefühlen gefolgt. Die Stücke entwickelten sich durch die Auftritte, bis wir uns entschlossen haben, das Album nach zwei Jahren aufzunehmen“, erzählt sie über die Entstehung und meint: „Wir waren ehrlich, wie wir mit unseren Erinnerungen umgegangen sind, da Erinnerungen oft verschwommen und zerrissen sind, und genau das haben wir in unserem eigenen Stil präsentiert. Aber es ist nicht nur eine syrische Geschichte, denn inzwischen bin ich hier in Wien zu Hause, ein Teil von mir ist auch Wienerin.“
Stefan Musil
Mag. Stefan Musil ist freier Kulturjournalist und Dramaturg in Wien.